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Fabelwesen Märchen Teil 2

Märchen über Drachen und anderen Fabelwesen !!!

Der junge Riese / Daumerlings Wanderschaft

Der junge Riese

 

Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein geraten und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er auch der Daumerling (Däumling). Er hatte aber Courage im Leibe und eines tages sagte er zu seinen Vater. Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus“. “Recht, mein Sohn“, sprach der Alte, nahm eine Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran, “da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.“ Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mit essen und hüpfte in die Küche, um zu sehen, was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht hatte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es: “Frau Mutter, was giebt es heute zu essen?“ “Sieh du selbst zu“, sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit hineinsteckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erde herabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher, ging auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. “Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt“, sagte der Daumerling, “so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Haustüre: Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, Adies, Herr Kartoffelkönig.“ “Das willst du wohl, du Grashüpfer“ sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein aber kroch behende unter den Fingerhut, guckte unten hervor und streckte der Frau Meisterin die Zunge heraus. Sie hob den Fingerhut auf und wollte ihn packen, aber der kleine Daumerling hüpfte in die Lappen, und wie die Meisterin die Lappen auseinander warf und ihn suchte, machte er sich in den Tischritz. “He, he, Frau Meisterin“, rief er und steckte den Kopf in die Höhe, und wenn sie zuschlagen wollte, sprang er in die Schublade hinunter. Endlich aber erwischte sie ihn doch und jagte ihn zum Haus hinaus.
 Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großen Wald: da begegnete ihm ein Haufen Räuber, die hatten vor, des Königs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein sahen, dachten sie: “So ein kleiner Kerl kann durch ein Schlüsselloch kriechen und uns als Dietrich dienen“. “Heda“, rief einer, “du Riese Goliath, willst du mit zur Schatzkammer gehen? Du kannst dich hineinschleichen und das Geld herauswerfen.“ Der Daumerling besann sich, endlich sagte er ja und ging mit zu der Schatzkammer. Da besah er die Türe oben und unten, ob kein Ritz darin wäre. Nicht lange, so entdeckte er einen und wollte gleich einsteigen. Die eine Schildwache sprach zur andern: “Was kriecht da für eine garstige Spinne; ich will sie tot treten“. “Laß das arme Thier gehen“, sagte die andere, “es hat dir ja nichts getan.“ Nun kam der Daumerling durch den Ritz glücklich in die Schatzkammer, öffnete das Fenster, unter welchem die Räuber standen, und warf ihnen einen Thaler nach dem andern hinaus. Als das Schneiderlein in der besten Arbeit war, hörte es den König kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, und verkroch sich eilig. Der König merkte, daß viele harte Thaler fehlten, konnte aber nicht begreifen, wer sie sollte gestohlen haben, da Schlösser und Riegel in gutem Stand waren, und alles wohl verwahrt schien. Da ging er wieder fort und sprach zu den zwei Wachen: “Habt Acht, es ist einer hinter dem Geld“. Als der Daumerling nun seine Arbeit von neuem anfing, hörten sie das Geld drinnen sich regen und klingen klipp, klapp, klipp, klapp. Sie eilten hinein und wollten den Dieb greifen, aber das Schneiderlein, das sie kommen hörte, war noch geschwinder, sprang in eine Ecke und deckte einen Thaler über sich, so daß nichts von ihm zu sehen war; dabei neckte es noch die Wachen und rief: “Hier bin ich“. Die Wachen liefen dahin, wie sie aber ankamen, war es schon in eine andere Ecke unter einen Thaler gehüpft und rief: “He, hier bin ich“. Die Wachen sprangen herbei, Daumerling war aber längst in einer dritten Ecke und rief: “He, hier bin ich“. Und so hatte es sie zu Narren und trieb sie so lange in der Schatzkammer herum, bis sie müde waren und davon gingen. Nun warf es die Thaler nach und nach alle hinaus: den letzten schnellte es mit aller Macht, hüpfte dann selber noch behendiglich darauf und flog mit ihm durchs Fenster hinab. Die Räuber machten ihm große Lobsprüche, “du bist ein gewaltiger Held“, sagten sie; “willst du unser Hauptmann werden?“ Daumerling bedankte sich aber und sagte, er müßte sich erst in der Welt umsehen. Sie teilten nun die Beute, das Schneiderlein aber verlangte nur einen Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte.

Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib, sagte den Räubern guten Tag und nahm den Weg zwischen die Beine. Es versuchte zwar bei etlichen Meistern wieder die Schneiderarbeit, aber sie wollte ihm nicht schmecken, und endlich verdingte es sich als Hausknecht in einem Gasthof. Die Mägde konnten es nicht leiden, denn ohne gesehen zu werden, sah er alles, was sie heimlich taten, und gab bei der Herrschaft an, was sie sich von den Tellern genommen und aus dem Keller für sich weg geholt hatten. Da sprachen sie: “Wart, wir wollen dirs eintränken“, und verabredeten untereinander ihm einen Schabernack anzutun. Als die eine Magd bald hernach im Garten mähte und den Daumerling da herumspringen und an den Kräutern auf und ab kriechen sah, mähte sie ihn mit dem Gras schnell zusammen, band alles in ein großes Tuch und warf es heimlich den Kühen vor. Nun war eine große schwarze darunter, die schluckte ihn mit hinab, ohne ihm weh zu thun. Unten gefiels ihm aber schlecht, denn es war ganz finster und brannte da kein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er

“strip, strap, stroll,
ist der Eimer bald voll?“

Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall und sprach: “Morgen soll die Kuh da geschlachtet werden“. Da ward dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief “Laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin“. Der Herr hörte das wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam. “Wo bist du?“ rief er. “In der schwarzen“, antwortete er, aber der Herr verstand nicht, was das heißen sollte, und ging fort. Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet; glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er geriet unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat und seine Arbeit anfing, schrie er aus Leibeskräften: “Hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter“. Vor dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Not, aber die Not macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte, und er mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andere Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gaste sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirtin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals mit abgeschnitten würde, endlich ersah er seinen Vorteil, machte sich Luft und sprang heraus.

In dem Hause aber, wo es ihm so übel ergangen war, wollte das Schneiderlein nicht länger mehr bleiben, sondern begab sich gleich wieder auf die Wanderung. Doch seine Freiheit dauerte nicht lange: auf dem offenen Feld kam es einem Fuchs in den Weg, der schnappte es in Gedanken auf. “Ei, Herr Fuchs“, riefs Schneiderlein, “ich bins ja, der in eurem Hals steckt, laßt mich wieder frei.“ “Du hast recht“, antwortete der Fuchs, “an dir hab ich doch so viel als nichts; versprichst du mir die Hühner in deines Vaters Hof, so will ich dich loslassen.“ “Von Herzen gern“, antwortete der Daumerling, “die Hühner sollst du alle haben, das gelobe ich dir.“ Da ließ ihn der Fuchs wieder los und trug ihn selber heim. Als der Vater sein liebes Söhnlein wieder sah, gab er dem Fuchs gerne alle die Hühner, die er hatte. “Dafür bring ich dir auch ein schönes Stück Geld mit“, sprach der Daumerling, und reichte ihm den Kreuzer, den er auf seiner Wanderschaft erworben hatte.

“Warum hat aber der Fuchs die armen Piephuhner zu fressen kriegt?“ “Ei, du Narr, deinem Vater wird ja wohl ein Kind lieber sein als die Hühner auf dem Hof.“
 
Gebrüder Grimm

 

Daumerlings Wanderschaft

 

Ein Bauersmann hatte einen Sohn, der war so groß wie ein Daumen und ward gar nicht größer und wuchs in etlichen Jahren nicht ein Haarbreit. Einmal wollte der Bauer ins Feld gehen und pflügen, da sagte der Kleine: “Vater, ich will mit hinaus.“ “Du willst mit hinaus?“ sprach der Vater. “Bleib du hier, dort bist du zu nichts nutz: Du könntest mir auch verlorengehen.“ Da fing der Däumling an zu weinen, und um Ruhe zu haben, steckte ihn der Vater in die Tasche und nahm ihn mit. Draußen auf dem Felde holte er ihn wieder heraus und setzte ihn in eine frische Furche. Wie er da so saß, kam über den Berg ein großer Riese daher. “Siehst du dort den großen Butzemann?“ sagte der Vater und wollte den Kleinen schrecken, damit er artig wäre. “Der kommt und holt dich.“ Der Riese aber hatte mit seinen langen Beinen kaum ein paar Schritte getan, so war er bei der Furche. Er hob den kleinen Däumling mit zwei Fingern behutsam in die Höhe, betrachtete ihn und ging, ohne ein Wort zu sprechen, mit ihm fort. Der Vater stand dabei, konnte vor Schrecken keinen Laut hervorbringen und dachte nicht anders als sein Kind für verloren, also daß er's sein Lebtag nicht wieder mit Augen sehen würde.
 Der Riese aber trug es heim und ließ es an seiner Brust saugen, und der Däumling wuchs und ward groß und stark nach Art der Riesen. Nach Verlauf von zwei Jahren ging der Alte mit ihm in den Wald, wollte ihn versuchen und sprach: “Zieh dir eine Gerte heraus.“ Da war der Knabe schon so stark, daß er einen jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß. Der Riese aber meinte: “Das muß besser kommen“, nahm ihn wieder mit und säugte ihn noch zwei Jahre. Als er ihn versuchte, hatte seine Kraft schon so zugenommen, daß er einen alten Baum aus der Erde brechen konnte. Das war dem Riesen noch immer nicht genug, er säugte ihn abermals zwei Jahre, und als er dann mit ihm in den Wald ging und sprach: “Nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus“, so riß der Junge den dicksten Eichenbaum aus der Erde, daß er krachte, und war ihm nur ein Spaß. “Nun ist's genug“, sprach der Riese, “du hast ausgelernt“, und führte ihn zurück auf den Acker, wo er ihn geholt hatte. Sein Vater stand da hinter dem Pflug, der junge Riese ging auf ihn zu und sprach: “Sieht Er wohl, Vater, was Sein Sohn für ein Mann geworden ist.“ Der Bauer erschrak und sagte: “Nein, du bist mein Sohn nicht, ich will dich nicht, geh weg von mir.“ “Freilich bin ich Sein Sohn, laß Er mich an die Arbeit, ich kann pflügen, so gut als Er und noch besser.“ “Nein, nein, du bist mein Sohn nicht, du kannst auch nicht pflügen, geh weg von mir.“ Weil er sich aber vor dem großen Mann fürchtete, ließ er den Pflug los, trat zurück und setzte sich zur Seite ans Land. Da nahm der Junge das Geschirr und drückte bloß mit einer Hand darauf, aber der Druck war so gewaltig, daß der Pflug tief in die Erde ging. Der Bauer konnte das nicht mit ansehen und rief ihm zu: “Wenn du pflügen willst, mußt du nicht so gewaltig drücken, das gibt schlechte Arbeit.“ Der Junge aber spannte die Pferde aus, zog selber den Pflug und sagte: “Geh Er nur nach Haus, Vater, und laß Er die Mutter eine große Schüssel voll Essen kochen; ich will derweil den Acker schon umreißen.“ Da ging der Bauer heim und bestellte das Essen bei seiner Frau; der Junge aber pflügte das Feld, zwei Morgen groß, ganz allein, und dann spannte er sich auch selber vor die Egge und eggte alles mit zwei Eggen zugleich. Wie er fertig war, ging er in den Wald und riß zwei Eichenbäume aus, legte sie auf die Schultern und hinten und vorn eine Egge darauf und hinten und vorn auch ein Pferd und trug das alles, als wäre es ein Bund Stroh, nach seiner Eltern Haus. Wie er in den Hof kam, erkannte ihn seine Mutter nicht und fragte: “Wer ist der entsetzliche große Mann?“ Der Bauer sagte: “Das ist unser Sohn.“ Sie sprach: “Nein, unser Sohn ist das nimmermehr, so groß haben wir keinen gehabt, unser war ein kleines Ding.“ Sie rief ihm zu: “Geh fort, wir wollen dich nicht.“ Der Junge schwieg still, zog seine Pferde in den Stall, gab ihnen Hafer und Heu, alles wie sich's gehörte. Als er fertig war, ging er in die Stube, setzte sich auf die Bank und sagte: “Mutter, nun hätte ich Lust zu essen, ist's bald fertig?“ Da sagte sie “ja“ und brachte zwei große, große Schüsseln voll herein, daran hätten sie und ihr Mann acht Tage lang satt gehabt. Der Junge aber aß sie allein auf und fragte, ob sie nicht mehr vorsetzen könnte? “Nein“, sagte sie, “das ist alles, was wir haben.“ “Das war ja nur zum Schmecken, ich muß mehr haben.“ Sie getraute nicht ihm zu widerstehen, ging hin und setzte einen großen Schweinekessel voll übers Feuer, und wie es gar war, trug sie es herein. “Endlich kommen noch ein paar Brocken“, sagte er und aß alles hinein; es war aber doch nicht genug, seinen Hunger zu stillen. Da sprach er: “Vater, ich sehe wohl, bei Ihm werd ich nicht satt, will Er mir einen Stab von Eisen verschaffen, der stark ist und den ich vor meinen Knien nicht zerbrechen kann, so will ich fort in die Welt gehen.“ Der Bauer war froh, spannte seine zwei Pferde vor den Wagen und holte bei dem Schmied einen Stab, so groß und dick, als ihn die zwei Pferde nur fortschaffen konnten. Der Junge nahm ihn vor die Knie, und ratsch! brach er ihn wie eine Bohnenstange in der Mitte entzwei und warf ihn weg. Der Vater spannte vier Pferde vor und holte einen Stab, so groß und dick, als ihn die vier Pferde fortschaffen konnten. Der Sohn knickte auch diesen vor dem Knie entzwei, warf ihn hin und sprach: “Vater, der kann mir nicht helfen, Er muß besser vorspannen und einen stärkern Stab holen.“ Da spannte der Vater acht Pferde vor und holte einen, so groß und dick, als ihn die acht Pferde herbeifahren konnten. Wie der Sohn den in die Hand nahm, brach er gleich oben ein Stück davon ab und sagte: “Vater, ich sehe, Er kann mir keinen Stab anschaffen, wie ich ihn brauche, ich will nicht länger bei Ihm bleiben.“

Da ging er fort und gab sich für einen Schmiedegesellen aus. Er kam in ein Dorf, darin wohnte ein Schmied, der war ein Geizmann, gönnte keinem Menschen etwas und wollte alles allein haben; zu dem trat er in die Schmiede und fragte, ob er keinen Gesellen brauchte. “Ja“, sagte der Schmied, sah ihn an und dachte: Das ist ein tüchtiger Kerl, der wird gut vorschlagen und sein Brot verdienen. Er fragte: “Wie viel willst du Lohn haben?“ “Gar keinen will ich haben“, antwortete er, “nur alle vierzehn Tage, wenn die andern Gesellen ihren Lohn bezahlt kriegen, will ich dir zwei Streiche geben, die mußt du aushalten.“ Das war der Geizmann von Herzen zufrieden und dachte damit viel Geld zu sparen. Am andern Morgen sollte der fremde Geselle zuerst vorschlagen, wie aber der Meister den glühenden Stab brachte und jener den ersten Schlag tat, so flog das Eisen voneinander und der Ambos sank in die Erde, so tief, daß sie ihn gar nicht wieder herausbringen konnten. Da ward der Geizmann bös und sagte: “Ei was, dich kann ich nicht brauchen, du schlägst gar zu grob, was willst du für den einen Zuschlag haben?“ Da sprach er: “Ich will dir nur einen ganz kleinen Streich geben, weiter nichts.“ Und hob seinen Fuß auf und gab ihm einen Tritt, daß er über viele Fuder Heu hinausflog. Darauf suchte er sich den dicksten Eisenstab aus, der in der Schmiede war, nahm ihn als einen Stock in die Hand und ging weiter. Als er eine Weile gezogen war, kam er zu einem Vorwerk und fragte den Amtmann, ob er keinen Großknecht nötig hätte. “Ja“, sagte der Amtmann, “ich kann einen brauchen; du siehst aus wie ein tüchtiger Kerl, der schon was vermag, wie viel willst du Jahreslohn haben?“ Er antwortete wiederum, er verlangte gar keinen Lohn, aber alle Jahre wollte er ihm drei Streiche geben, die müßte er aushalten. Das war der Amtmann zufrieden, denn er war auch ein Geizhals. Am andern Morgen, da sollten die Knechte ins Holz fahren, und die andern Knechte waren schon auf, er aber lag noch im Bett. Da rief ihn einer an: “Steh auf, es ist Zeit, wir wollen ins Holz, und du mußt mit.“ “Ach“, sagte er ganz grob und trotzig, “geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle miteinander.“ Da gingen die andern zum Amtmann und erzählten ihm, der Großknecht läge noch im Bett und wollte nicht mit ins Holz fahren. Der Amtmann sagte, sie sollten ihn noch einmal wecken und ihn heißen die Pferde vorspannen. Der Großknecht sprach aber wie vorher: “Geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle miteinander.“ Darauf blieb er noch zwei Stunden liegen, da stieg er endlich aus den Federn, holte sich aber erst zwei Scheffel voll Erbsen vom Boden, kochte sich einen Brei und aß den mit guter Ruhe, und wie das alles geschehen war, ging er hin, spannte die Pferde vor und fuhr ins Holz. Nicht weit vor dem Holz war ein Hohlweg, wo er durch mußte, da fuhr er den Wagen erst vorwärts, dann mußten die Pferde stille halten, und er ging hinter den Wagen, nahm Bäume und Reisig und machte da eine große Hucke, so daß kein Pferd durchkommen konnte. Wie er nun vors Holz kam, fuhren die andern eben mit ihren beladenen Wagen heraus und wollten heim, da sprach er zu ihnen: “Fahrt nur hin, ich komme doch eher als ihr nach Haus.“ Er fuhr gar nicht weit ins Holz, riß gleich zwei der allergrößten Bäume aus der Erde, warf sie auf den Wagen und drehte um. Als er vor der Hucke anlangte, standen die andern noch da und konnten nicht durch. “Seht ihr wohl“, sprach er, “wärt ihr bei mir geblieben, so wärt ihr ebenso schnell nach Haus gekommen und hättet noch eine Stunde schlafen können.“ Er wollte nun zufahren, aber seine Pferde konnten sich nicht durcharbeiten, da spannte er sie aus, legte sie oben auf den Wagen, nahm selber die Deichsel in die Hand, und hüf! zog er alles durch, und das ging so leicht, als hätt er Federn geladen. Wie er drüben war, sprach er zu den andern: “Seht ihr wohl, ich bin schneller hindurch als ihr“, fuhr weiter, und die andern mußten stehenbleiben. In dem Hof aber nahm er einen Baum in die Hand, zeigte ihn dem Amtmann und sagte: “Ist das nicht ein schönes Klafterstück?“ Da sprach der Amtmann zu seiner Frau: “Der Knecht ist gut; wenn er auch lang schläft, er ist doch eher wieder da als die andern.“

Nun diente er dem Amtmann ein Jahr. Wie das herum war und die andern Knechte ihren Lohn kriegten, sprach er, es wäre Zeit, er wollte sich auch seinen nehmen. Dem Amtmann ward aber angst vor den Streichen, die er kriegen sollte, und bat ihn inständig, er möchte sie ihm schenken, lieber wollte er selbst Großknecht werden, und er sollte Amtmann sein. “Nein“, sprach er, “ich will kein Amtmann werden, ich bin Großknecht und will's bleiben, ich will aber austeilen, was bedungen ist.“ Der Amtmann wollte ihm geben, was er nur verlangte, aber es half nichts, der Großknecht sprach zu allem “nein“. Da wußte sich der Amtmann nicht zu helfen und bat ihm um vierzehn Tage Frist, er wollte sich auf etwas besinnen. Der Großknecht sprach, die Frist sollte er haben. Der Amtmann berief alle seine Schreiber zusammen, sie sollten sich bedenken und ihm einen Rat geben. Die Schreiber besannen sich lange, endlich sagten sie, vor dem Großknecht wäre niemand seines Lebens sicher, der schlüge einen Menschen wie eine Mücke tot. Er sollte ihn heißen in den Brunnen steigen und ihn reinigen wenn er unten wäre, wollten sie einen von den Mühlensteinen, die da lägen, herbeirollen und ihm auf den Kopf werfen, dann würde er nicht wieder an des Tages Licht kommen. Der Rat gefiel dem Amtmann, und der Großknecht war bereit, in den Brunnen hinabzusteigen. Als er unten auf dem Grund stand, rollten sie den größten Mühlenstein hinab und meinten, der Kopf wäre ihm eingeschlagen, aber er rief: “Jagt die Hühner vom Brunnen weg, die kratzen da oben im Sand und werfen mir die Körner in die Augen, daß ich nicht sehen kann.“ Da rief der Amtmann: “Husch! Husch!“ und tat, als scheuchte er die Hühner weg. Als der Großknecht mit seiner Arbeit fertig war, stieg er herauf und sagte: “Seht einmal, ich habe doch ein schönes Halsband um“, da war es der Mühlenstein, den er um den Hals trug. Der Großknecht wollte jetzt seinen Lohn nehmen, aber der Amtmann bat wieder um vierzehn Tage Bedenkzeit. Die Schreiber kamen zusammen und gaben den Rat, er sollte den Großknecht in die verwünschte Mühle schicken, um dort in der Nacht Korn zu mahlen; von da wäre noch kein Mensch morgens lebendig herausgekommen. Der Anschlag gefiel dem Amtmann, er rief den Großknecht noch denselben Abend und hieß ihn acht Malter Korn in die Mühle fahren und in der Nacht noch mahlen; sie hätten's nötig. Da ging der Großknecht auf den Boden und tat zwei Malter in seine rechte Tasche, zwei in die linke, vier nahm er in einem Quersack halb auf den Rücken, halb auf die Brust und ging also beladen nach der verwünschten Mühle. Der Müller sagte ihm, bei Tag könnte er recht gut da mahlen, aber nicht in der Nacht, da wäre die Mühle verwünscht, und wer da noch hineingegangen wäre, den hätte man am Morgen tot darin gefunden. Er sprach: “Ich will schon durchkommen, macht Euch nur fort und legt Euch aufs Ohr.“ Darauf ging er in die Mühle und schüttete das Korn auf. Gegen elf Uhr ging er in die Müllerstube und setzte sich auf die Bank. Als er ein Weilchen da gesessen hatte, tat sich auf einmal die Tür auf, und kam eine große, große Tafel herein, und auf die Tafel stellte sich Wein und Braten und viel gutes Essen, alles von selber, denn es war niemand da, der's auftrug. Und danach rückten sich die Stühle herbei, aber es kamen keine Leute, bis auf einmal sah er Finger, die hantierten mit den Messern und Gabeln und legten Speisen auf die Teller, aber sonst konnte er nichts sehen. Da er hungrig war und die Speisen sah, so setzte er sich auch an die Tafel, aß mit und ließ sich's gut schmecken. Als er satt war und die andern ihre Schüsseln auch ganz leer gemacht hatten, da wurden die Lichter auf einmal alle ausgeputzt, das hörte er deutlich, und wie's nun stockfinster war, so kriegte er so etwas wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Da sprach er: “Wenn noch einmal so etwas kommt, so teil ich auch wieder aus.“ Und wie er zum zweiten Mal eine Ohrfeige kriegte, da schlug er gleichfalls mit hinein. Und so ging das fort die ganze Nacht, er nahm nichts umsonst, sondern gab reichlich zurück und schlug nicht faul um sich herum; bei Tagesanbruch aber hörte alles auf. Wie der Müller aufgestanden war, wollt er nach ihm sehen und verwunderte sich, daß er noch lebte. Da sprach er: “Ich habe mich satt gegessen, habe Ohrfeigen gekriegt, aber ich habe auch Ohrfeigen ausgeteilt.“ Der Müller freute sich und sagte, nun wäre die Mühle erlöst, und wollte ihm gern zur Belohnung viel Geld geben. Er sprach aber: “Geld will ich nicht, ich habe doch genug.“ Dann nahm er sein Mehl auf den Rücken, ging nach Haus und sagte dem Amtmann, er hätte die Sache ausgerichtet und wollte nun seinen bedungenen Lohn haben. Wie der Amtmann das hörte, da ward ihm erst recht angst; er wußte sich nicht zu lassen, ging in der Stube auf und ab, und die Schweißtropfen liefen ihm von der Stirne herunter. Da machte er das Fenster auf nach frischer Luft, eh er sich's aber versah, hatte ihm der Großknecht einen Tritt gegeben, daß er durchs Fenster in die Luft hinein flog, immer fort, bis ihn niemand mehr sehen konnte. Da sprach der Großknecht zur Frau des Amtmanns: “Kommt er nicht wieder, so müßt Ihr den andern Streich hinnehmen.“ Sie rief: “Nein, nein, ich kann's nicht aushalten“, und machte das andere Fenster auf, weil ihr die Schweißtropfen die Stirne herunterliefen. Da gab er ihr einen Tritt, daß sie gleichfalls hinausflog, und, da sie leichter war, noch viel höher als ihr Mann.

Der Mann rief: “Komm doch zu mir“, sie aber rief: “Komm du zu mir, ich kann nicht zur dir.“ Und sie schwebten da in der Luft, und konnte keins zum andern kommen, und ob sie da noch schweben, daß weiß ich nicht; der junge Riese aber nahm seine Eisenstange und ging weiter.

 

Gebrüder Grimm

 
 

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